Männer, die in Mauern stecken

Normalerweise beschäftige ich mich eher mit Oberirdischem. Doch wenn sich die Gelegenheit bietet, exklusiv in den Berliner Untergrund und mitten ins 17. Jahrhundert hineinzuschauen, stehe ich als Zuschauerin gern mit an der Grabungskante. Auf Archäologisch kann das Grabungsleiterin Anja Grothe gewiss präziser beschreiben – ich habe meine Impressionen und unsere Faszination in Text, Bild und im Sendung-mit-der-Maus-Stil festgehalten.

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Unlängst konnte ich Freunden von außerhalb etwas Besonderes bieten: Männer, die in Mauern stecken. Eine Besichtigung der archäologischen Grabung am ehemaligen Großen Jüdenhof an der Grunerstraße. Genauer gesagt: Eine Exklusivführung mit der Archäologin Anja Grothe, links, die die Grabung leitet. Sie kann so ziemlich alles zwischen Schließen und Schnallen, Scherben und Artefakten, Knochen und Waffen und was da sonst noch so im Untergrund herumliegen mag, auch für Nicht-Wissenschaftler höchst anschaulich erklären. Das durfte ich bereits bei der Ausstellung 1636 – ihre letzte Schlacht über eine entscheidende Schlacht im Dreißigjährigen Krieg in der Nähe von Wittstock/Dosse erfahren. Anja Grothe hat uns nun auch mitten in der Berliner Mitte anhand von Fundstücken und der eigenen Vorstellungskraft auf eine spannende Reise in die Stadtgeschichte mitgenommen.

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Beim Tag des offenen Denkmals im September 2012 stand der Container mit dem Büro des Grabungsteams noch genau da hinten in der Aussicht, also vor dem Zaun. Da wird aber nun längst gegraben und so werden im Laufe einer Grabung Container und Gerätschaften durchaus mehrfach versetzt. Je nachdem, was gerade unter der Oberfläche hervorgeholt werden soll – und auch der Sicherheitsabstand erfordert.

Auf dem Monitor sehen Sie die Ansicht eines Hauses auf dem Großen Jüdenhof aus dem 19. Jahrhundert. Teile des Jüdenhofs waren noch bis zum Krieg erhalten, auch nachdem in den Dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts schon einige Häuser der Erweiterung des Stadthauses weichen mussten. Nach dem Krieg war allerdings alles zerstört und statt historisierender Aufbauten kam ein schnöder Parkplatz an diese Stelle der Grunerstraße, bzw. des Molkenmarktes.

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Die ersten Funde im Erdreich. Waren es im September 2012 noch Schalenreste, Glas, Flaschen und Alltagsgegenstände aus dem 18. und 19. Jahrhundert, so ist die Grabung inzwischen längst in tiefere Schichten vorgedrungen und legt den Fokus auf das 17. Jahrhundert. Was geborgen ist, wird zugeordnet, dokumentiert und kommt dann ins Archiv. Wir schauen es uns auf Fotos an.

Vollverglaste Container wären übrigens nichts für so eine Grabung. An den Wänden sind Pläne, Karten, Listen und Bilder aufgehängt. Man darf sich das bitte ganz spartanisch vorstellen: ein Container, drei Schreibtische, Strom und Computergerätschaften. Ein Biertisch fürs Pausenbrot und die Spülschüssel, denn es gibt selbstverständlich kein fließendes Wasser oder eine Toilette im Container. Wasser wird aus dem Stadthaus geholt und das Dixieklo steht am Zaun ganz hinten. Der Luxus dieser Grabung besteht tatsächlich im Strom- und U-Bahn-Anschluss und in der Nähe zum Stadthaus mit seiner Infrastruktur. Wenn an Autobahntrassen oder Pipelines in Brandenburg gegraben wird, dann steht so ein Bauwagen oder Container durchaus mitten in der Prairie herum, ohne jeden Komfort oder einfache Zugänglichkeit. Das grabende Archäologentum ist was für rustikale Naturen.

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Beweisfoto: So was von mitten in der Stadt, die Grabung. Ich finde das ja immer noch sehr faszinierend. Aber es ist logisch: Der Große Jüdenhof als Handelszentrum am Molkenmarkt, das musste und sollte natürlich im innersten Kern der Stadt und nahe am Alten Rathaus sein. Und die damalige Stadt Berlin war klein, die Stadtmauer nicht fern, wie man am letzten erhaltenen Stück hinter der Parochialkirche zwei Straßen weiter sehen kann.

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Wir hielten also brav den Sicherheitsabstand an der Kante ein, als Anja Grothe uns von den aktuellen Funden berichtete. Das Team war gerade dabei, ein männliches Skelett unter diesen Hausresten freizulegen. Faszinierend für mich auch immer wieder die Sorgfalt, mit der mit kleinen Spachteln und Kellen fein der Sand schichtenweise abgezogen wird, um unfallfrei die Funde freizulegen. Wie beim Konditor, der eine Torte vorsichtig mit einem langen Messer ganz glatt und buckelfrei glasiert. Viel Routine, viel Sorgfalt und immer die Liebe zur Sache, die das alles ermöglicht. Ich bin ja voller Bewunderung für so viel Frickelei – ich hätte nie die Hingabe und Feinmotorik zu so kleinteiliger Arbeit wie Goldschmiede, Uhrmacher oder Archäologen.

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Der Fund des Tages – ein männliches Skelett. Nun wissen Sie, wie dieser Artikel zu seinem etwas reißerischen, aber berechtigten Titel kam: Männer, die in Mauern stecken.

Wie das Skelett dahinkam? Was es dort sollte? Ob alles mit rechten Dingen zuging? Nun, das klärt gerade die Abteilung Mord und Totschlag, wie Anja Grothe die Kooperation mit ihrer Anthropologenkollegin Bettina Jungklaus nennt. Der Archäokrimi ist also noch im Aufdröselungszustand und ich bin sehr gespannt, später von den wissenschaftlich fundierten Ergebnissen zu erfahren.

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Wenn Sie ein bisschen schärfer auf den Plan in Frau Grothes Hand schauen, sehen Sie oben, vor dem letzten schwarzen Querbalken, eine kleine Figur mit gespreizten Beinen – auf dieser Zeichnung ist der genaue Fundort des Skelettes festgehalten. Skelette zeichnen kann ich richtig gut, wie Frau Grothe anmerkte. Kann ich nur bestätigen. Einige weitere, vorherige Skelettfunde sind auf einem Übersichtsplan eingetragen. Erst liebevoll handgezeichnet, dann gescannt und in den Plan eingebunden.

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Die Grabung wird fürs Wochenende eingepackt. Wir mussten uns am eher frühen Morgen an die Grunerstraße begeben, denn so eine Baustellenabsicherung dauert eine ganze Weile. Spätestens Freitagmittag werden die Planen großflächig ausgebreitet, damit das Wetter nicht Unvorhergesehens übers Wochenende anrichten kann.

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Frau Grothe hat Mietbücher für die „Hütten“ am Molkenmarkt in Archiven aufgetan. Was damals als „Hütte“ an die Händler vermietet wurde, waren Holzhäuser von ordentlicher Größe. Anhand der Mieterlisten lässt sich die Geschichte wieder ein wenig präziser entschlüsseln und aufdröseln.

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Ob man noch mittelalterliche Artefakte, die die Existenz einer Judenschule und einer Synagoge belegen können, finden wird? Noch sind die Archäologen nicht im Mittelalter angekommen, wir reden hier immer noch übers 17. Jahrhundert. Allerdings sind der Ausweitung der Baustelle ganz pragmatische Grenzen gesetzt. Nämlich die einer der meistbefahrenen innerstädtischen Verkehrsachsen, die der Senat nicht so schnell für eine archäologische Grabung zu einem Spezialthema verlegen wird.

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Vielen Dank für die spannende Führung an Anja Grothe und an das Grabungsteam. Wir bleiben gespannt auf die offiziellen Ergebnisse und all das, was die nächsten Monate der Grabung bis zum Jahresende 2013 noch erbringen mögen!